Dienstag, 11. Dezember 2012

Mein Adventskalendar. Jeden Tag ein neues Tuerchen.

Dieses Jahr ist mein Adventskalendar nicht in Form eines Pappkartons mit kleinen Dickmachern sondern entpuppt sich im Leben und schenkt mir jeden Tag ein neues Abenteuer und Veraenderung, sei es ein Erlebnis, eine Entdeckung, ein Wagnis oder einfach nur ein Gedanke.
Im Moment stecke ich eingepackt in zwei Hosen, dicken Pulli, Jacke und Omas selbstgestrickten Socken mitten in der Vorweihnachtszeit Delhis. Auf den Strassen graben sich dicke Regenpfuetzen in den Boden und der Himmel ist bespickt mit schweren grauen Wolken. Ja, hier muss frau schon sehr nach Weihnachtsstimmung suchen :)
Lese ich meinen letzten Einrag ueber den Varanasitrip und ueberfliege in Gedanken all das seitdem Geschehene, muss ich mir ersteinmal eine grosse Tasse Kaffee und einen leckeren Keksteller neben die Tastatur stellen, denn es gibt einiges zu erzaehlen!
Nach Varanasi habe ich die folgenden Tage in Hazaribagh nichts anderes ausser meiner Bettdecke, den Tassenboden und einen Inhalator gesehen - mich hat eine dicke Grippe heimgesucht und ausgeschaltet. Dank der Intensivbetreuung der Schwestern und dubioser Medikamente ging es mir dann aber zum Glueck nach einiger Zeit besser und ich konnte die naechsten Projekte in Angriff nehmen.
Zusammen mit Schwester Breton und ihren Gehilfen ging ich in ein nahegelegenes Dorf und schaute bei der Ausgabe von Medikamenten an AIDS Patienten zu und nahm an einem Praeventionskurs fuer die Menschen teil. Danach besuchten wir einige Patienten zuhause und so bekam ich einen Einblick in das Dorfleben Indiens. Es war sehr interessant und doch musste ich stark mit dem Gefuehl ein schamloser Voyeur zu sein kaempfen. Aber dieser Zwiespalt ist wohl mein treuester Begleiter in Indien. Generell werde ich diese Erfahrung hier nicht weiteraus ausbauen,  denn die Eindruecke, Gefuehle und Gedanken ueber das dort Gesehene in Worte zu fassen bzw. angemessen formulieren zu koennen, dazu bin ich leider nicht faehig.



Medikamentenausgabe.



Ein positives Laecheln.

Familien auf dem Dorf.

Aids Hospital

Das Team und ich.


Ausserdem lernte ich Father George kennen, der selbst einige Zeit in Oesterreich und Deutschland gewesen ist, und so verbrachten wir einige gemeinsame Kaffeestunden schwatzend ueber Dies und Das. Diese Bekanntschaft ermoeglichte mir auch eine Audienz beim zukuenftigen bzw. ehemaligen Bischof Hazaribaghs. Ich bin absolut ueberrascht gewesen wie offen, menschlich und zugaenglich beide gewesen sind. Wuerde in Europa die ein oder andere Oma in Ohnmacht vor Ehrfurcht fallen, setzten sich hier die zwei in Jogginghose neben mich, tauschten mit mir Mailadresse aus und schenkten mir Erinnerungsstuecke :) Mein Bild der geistlichen Welt hat sich mit einem Schlag veraendert :)
So, dann ging es aber auch schon wieder ans Rucksack packen und Verabschieden. Naechste Station ist Bodhgaya, das Zentrum des Buddhismus, gewesen.
Und zu dieser Stadt sei gesagt, dass ich noch nie an einem solch energiegeladenen, fragwuerdigen, ernsten und tief verehrten Ort gewesen bin.
Mein Lieblingsplatz in diesen drei Tagen : Der Garten um den Mahabodhi Tempel . Rund um das UNESCO- Weltkulturerbe kniete jeden Morgen und Abend ein Meer von orangegelben Kutten nieder. Die Luft vibrierte von dem tiefen Gebrummel, dem staendigen Gebet und den religioesen Gesaenge der vielen vielen Pilger. Um mich herum liefen Moenche aus aller Welt neben Pilgern und Touristen, all sie zusammen meditierten, beteten und lebten gemeinsam. Es war absolut beeindruckend und bewegend ein Teil dieses Ganzen zu sein.
Mit einem Schritt ausserhalb der Tempelgemaeuer kam mir diese Seeligkeit und die Entspanntheit im Sein vor wie pure Heuchelei und ich blickte verstaendnislos, beschaemt und einfach mit tausend Fragen im Kopf auf die bittere Armut vor den Toren des Tempels. Solch ein grauenhaftes Bild an Krueppel, schreienden Kindern und abgemagerten Koerpern wie in Bodhgaya habe ich bis jetzt in Indien noch nicht gesehen. Dieser starke Kontrast zwischen der Suche nach Erleuchtung und der Suche nach Essen hat fuer mich diese drei Tage zu einer sehr intensiven und gedankenreichen Zeit gestaltet.
Generell ist zu meiner Besuchszeit ziemlich viel losgewesen, viele Glaeubige aus Tibet stroemten nach Bodhgaya, feierten Feste ( dank ihnen litt ich unter extremen Schlafmangel!) und bildeten eine regelrechte Gebetsflut. Alle Tempel und Kloster, die ich besichtigte huellten sich in den tiefen Klang der Rufe nach Erhoerung und den Geruch nach Raeucherstaebchen.
Besonders beeindruckend ist natuerlich die Buddhastatue gewesen und der Sitz unter dem Bodhi-Baum - ich hab sogar ein Blatt ergattert. Ich wuerde mich eigentlich gepriesen schaetzen aber der Zahn der Zeit laesst nur noch einen Ableger des originalen Baum der Erleuchtung neben dem Mahabodhi Tempel wachsen :)
Auch ich habe mich in der Meditation versucht und hatte eine erstklassige Einweisung von einem tibetischen Moench...so richtig zur Ruhe konnte ich leider aufgrund des konstanten Geraeuschpegels jedoch nicht kommen !

Eine richtig interessante Bekanntschaft durfte ich auch hier in Bodhgaya schliessen. Vivek, ein Student aus Zentralindien, kam nach Bodhgaya zum Beten und Meditieren. Diese Begegnung verliess ich mit absolutem Erstaunen. Zum einen weil wir beide die absoluten selben Gedanken ueber Philosophie, Religion, Ethik usw. teilten - und mich diese Tatsache einfach aufgrund der so verschiedenen Kultur wirklich begeistert hat - und zum anderen weil der Gute einfach knallhart ein Shirt mit der aufgedruckten Definition von Bitch tagtaeglich getragen hat :D Ich habe es mit seinen mangelnden Englischkenntnissen entschuldigt, fand es aber einfach zu ulkig, als dass ich es vergessen koennte.

 


 

Auf meinem Flug nach Delhi durfte ich Stephan aus Australien begegnen und er hat mir wohl die witzigsten und hysterischten Lachkraempfe seit meinem Ablfug aus Deutschland beschert. Mensch, dieser Mann hatte wirklich einen koestlichen Humor :D Auch seine Lebensgeschichte hat meine Wahrnehmung der Indienreise wieder beeinflusst wie die sovielen anderen Geschichten der Menschen, die ich getroffen habe. Mit 18 Jahren aus Deutschland losgezogen hat er in den verschiedensten Laendern als Koch gearbeitet, bis er sich in Australien niederlies und dort ein Hoemopathiezentrum gruendete - und jetzt wieder den Rucksack packt und die Welt bereist. Mensch, ich treffe hier wirklich keine Couchpotatoes! :)
Ein Glueck habe ich ihn kennengelernt, denn sonst waere ich nie in Delhi angekommen - muede und erschoepft von den wilden Parties der Moenche in der Nacht bin ich im Flugzeug eingeschlafen und einfach rausmaschiert als der Flieger gelandet ist. Ich wusste nicht, dass es nur ein Zwischenstopp gewesen ist - erst als ich auf der Landebahn verwirrt mit meinem Teddy stand, winkte mich Stephan wieder in die Maschine. Unter Gelaechter der ganzen Besatzung schlappte ich total verschlafen zurueck auf meinen Platz :D Ich habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen :D
Nun, jetzt sitze ich im Wohnzimmer der Schwestern in Delhi. Ich wohne bei Schwester Delphin und bin das vierte Mitglied der kleinen absolut familiaeren Hausgemeinschaft :) Ich habe hier zwei Zimmer, drei Betten und eine eigene Dachterrasse...also komfortabler gehts nicht!
Bis jetzt habe ich Delhis Kuenstlerviertel Hauz Khas unsicher gemacht, bin ganz Delhi fast mit der Metro abgefahren und besuche jeden zweiten Tag einen Yogakurs. Ich versuche mir so gut wie moeglich einen Alltag einzurichten bevor ich Ende des Monats nach Rajasthan aufbreche, so spiele ich mit den Kindern, sitze fast jeden Nachmittag in einem Travellercafe oder Park und trainiere mich im Alleine-durch-die-Millionen-Stadt-Finden :)
Und ich habe mir - da ohne Risiko das Leben doch so langweilig ist- gleich einmal ein Risiko und Schmerz abgeholt, als ich eines Abends auf der Couch mit der Schwester spontan beschloss mich am Ohr piercen zulassen - also nichts wie in die Ricksha und rein in das Wagnis. Mich begruesste ein dicker Mann und eigentlich haette ich schon bei dem Handgruss und dem Anblick seiner gigantischen Finger ahnen muessen, welch ein Unheil mir blueht :D Aber nun gut, Laura bleibt still laechelnd sitzen und kurz darauf verzog sich auch schon das Laecheln zu einem schmerzverzerrten Schrei. Denn der Gute bog aus einem Draht einen Piercing und drueckte ihn mit seinen zierlichen Batschern durch mein zartes unschuldiges Ohrlaeppchen :D Einmal und nie wieder.
Achja, Weihnachtsplaetzchen habe ich auch schon gebacken - vier verschiedene Sorten und ja, sie schmecken himmlisch! :)
So, der letzte Schluck Kaffee ist getrunken, die Kekse sind auf meinen Hueften angekommen und ein grobes Resumee meiner letzten Tage gezogen.
In der naechsten Zeit werde ich meine Erkundungstour Delhis in Museen, Universitaet und alten Bauten intensivieren, ansonsten einfach mal versuchen die Seele baumeln zu lassen ( ob Delhi dafuer der richtige Ort ist bleibt fraglich :D ).
Liebste Gruesse an all die Weltenbummler, ob in Australien, Suedafrika, London oder einfach nur in Tagestraeumen! :)


Hauz Khas, Kuenstlerviertel.

In der Weihnachtsbaeckerei... :)

Der Ausblick von der Dachterrasse :)